Bloß keine Verantwortung!

Cover-your-Back“-Verhalten ist weithin verbreitet. Es zu überwinden, würde Effizienzen freisetzen wie Weniges sonst.

Kaum vorstellbar, dass es heute noch irgendeinen Bereich der Wirtschaft gibt, in dem es weiterhin möglich wäre, einfach nur „Business as usual“ zu betreiben und so ein auskömmliches und zukunftssicherndes Unternehmensergebnis zu erzielen. Krieg und Krise, aber auch ohne diese schon Wettbewerbsdruck, technologischer, klimatischer und gesellschaftlicher Wandel stellen allüberall – und zum Teil radikal – die Geschäftsmodelle infrage und schaffen einen neuen Maßstab für die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens: seine Veränderungsfähigkeit.

Dass die Beharrungskräfte gleichwohl in jeder Organisation groß sind, ist keine Neuigkeit. Dass es Energie kostet, die gesamte Mannschaft in Bewegung zu setzen und ihr die Kraft, den Willen, den Mut und die Kreativität zu verleihen, die notwendig sind, um die Veränderungen und Erneuerungen erfolgreich umzusetzen, ebenso wenig.

Doch über einen der wesentlichsten Gründe dafür wird so gut wie nie gesprochen. Es gibt nicht einmal einen gebräuchlichen deutschen Begriff dafür. Dabei sind die Verhaltensmuster, um die es hier geht, allgemein bekannt. Und bezeichnenderweise auch so gut wie jedem verhasst (wenn er sie denn bei anderen erlebt).

Wir reden von dem, das im angloamerikanischen Sprachraum als „Cover your Back“ bezeichnet wird. Das sind Verhaltensweisen, deren einziger Zweck Selbstschutz ist. Es geht darum, Vorsorge dagegen zu treffen, dass man für einen möglichen Fehler zur Verantwortung gezogen und bestraft werden könnte. Und wie macht man das? Auch diese Methoden sind allgemein bekannt. Am besten natürlich, indem man gar nichts macht – so macht man auch keine Fehler. Wenn sich eine Aktivität partout nicht vermeiden lässt: dafür sorgen oder zumindest den Schein erwecken, dass man nur ausführendes Organ ist, die tatsächliche Verantwortung aber ein anderer trägt. Daher auch: keine Entscheidungen treffen, keine Ideen haben, keine neuen Wege gehen. Keine Meinung äußern, schon gar keine abweichende.

Wohlgemerkt, wir reden hier nicht vom Tun (oder vielmehr Lassen) einzelner Mitarbeiter. Die „Cover-your-Back“-Mentalität und die daraus resultierenden Verhaltensweisen sind weit verbreitet – und desto mehr, je größer und hierarchischer eine Organisation ist. Entsprechend schwerwiegend sind die Auswirkungen: Verantwortlichkeiten werden gescheut, Entscheidungen verschleppt, klare Worte vermieden, Fehler verschleiert, Erfolge fingiert. Damit verbraucht „Cover-your-Back“-Verhalten nicht nur selbst Energie, die besser in produktive Tätigkeiten investiert würde, sondern es hemmt und verzögert generell alle Prozesse und macht so schon den normalen Geschäftsbetrieb eines Unternehmens unnötig aufwendig. Und da reden wir noch nicht einmal von einer Transformation und ihren nochmal ganz anderen Anforderungen an Effizienz und Geschwindigkeit.

Für jedes Unternehmens sollte es also ein lohnendes Ziel sein, „Cover-your-Back“-Verhalten zu überwinden. Umso mehr, als sich diesem Ziel sogar diejenigen anschließen dürften, die genau dieses Verhalten notorisch an den Tag legen. Denn Zweck dieses Verhaltens ist wie gesagt vorsorglicher Schutz vor einer möglichen Strafe. Sorge vor Strafe aber ist kein angenehmes Gefühl, weshalb es die meisten Menschen begrüßen dürften, wenn ihnen diese Sorge genommen wird.

Zwar ist „Cover-your-Back“-Verhalten nicht nur eine Folge der Umstände. Die psychische Disposition mancher Menschen lässt diese eher dazu greifen als andere, die mutiger oder auch nur hartleibiger sind. Unstrittig ist aber auch, dass die jeweilige Unternehmenskultur einen erheblichen Einfluss darauf hat, inwieweit Menschen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen auch auf das Risiko hin, eine falsche Entscheidung zu treffen. Bei einer Befragung unter Top-Managern eines deutschen Weltkonzerns nannten zwei Drittel als den entscheidenden Faktor für „Cover-your-Back“-Verhalten: die Unternehmenskultur.

An dieser ist daher auch vorrangig anzusetzen, wenn man „Cover-your-Back“-Verhalten überwinden will. Zuerst gilt es, das Problem überhaupt zu benennen und offensiv einzugestehen, dass auch das eigene Unternehmen davon betroffen ist. Dann braucht es die ganz klare Botschaft von ganz oben, dass diese Verhaltensweisen im Unternehmen keinen Platz (mehr) haben, weil sie es schwächen und bremsen und darüber hinaus auch zutiefst unkollegial sind. Der anschließende Kulturveränderungsprozess sollte dann insbesondere die Fehlerkultur in den Fokus nehmen, aber auch die expliziten wie impliziten Belohnungs- und Sanktionssysteme sowie die Frage, welche Entscheidungsspielräume Mitarbeiter und vor allem Führungskräfte denn überhaupt haben. Sprich: Wie viel unternehmerisches Handeln ihnen tatsächlich ermöglicht wird.

Die Überwindung von „Cover-your-Back“-Verhalten ist, wie jede Kulturveränderung, ein längerfristiges Unterfangen. Doch wo in einem Unternehmen findet man heute noch ein vergleichbar hohes Potential an realisierbaren Effizienzsteigerungen? Also wann anfangen, wenn nicht jetzt?

Jana Hecker ist Geschäftsführerin und Holger Wild ist Director bei der Unternehmensberatung Cetacea, die seit mehr als 15 Jahren auf Transformationsmanagement und -kommunikation in der People Dimension spezialisiert ist.