Kreuzverhör

Manchmal ist es wie verhext. Der eigene Chef fragt nach, warum die Umsetzung des neuen Arbeitsprozesses so ewig lange dauert. Und die Mitarbeiter*innen bitten nun schon das dritte Mal um mehr Zeit, wenn es gut werden soll. Tja, da sitzt man als Bereichsleiter unangenehm zwischen den Stühlen, oder?

Jetzt kann man sich natürlich über die Situation ärgern, ist ja ein normaler Reflex. „Immer stehe ich am Pranger. Das habe ich nicht verdient. Die anderen haben wirklich keine Ahnung. Am besten die Ohren auf Durchzug stellen, man kann ja nicht auf jeden Wunsch reagieren. Vielleicht noch einige Pseudo-Fragen stellen … dann wird sich schon alles von allein regeln“, so die Reaktion des Bereichsleiters.

Genau diese Geschichte hat ein Bereichsleiter im Online-Workshop erzählt. Erst habe ich es für einen Scherz gehalten. Und die anderen Teilnehmenden auch. Nein, nein, was gebe es da zu lachen, so mache er das immer – schon seit Jahren.

Die Gesichter hätten Sie sehen sollen. Fassungslos, konsterniert, erschrocken, entsetzt, bestürzt. Ist das wirklich eine Führungskraft aus unserem Management-Team? Nach einem gefühlt ewig langen Moment der Stille brach es los. Fragen über Fragen an den Kollegen. Wie stehe er denn zur Vorbild-Funktion, zum Commitment zu den Führungsleitlinien, zur Ergebnis- und Lösungsorientierung oder zu einer offenen Kommunikation? Ein Kreuzverhör!

Und in der Pause nahm die Diskussion richtig Fahrt auf … allerdings deutlich radikaler. Können wir uns solche Führungskräfte (noch) leisten? Einhellige Meinung: Nein, auf gar keinen Fall. Eine Führungskraft kann sich nicht der Verantwortung entziehen oder einfach den Kopf in den Sand stecken. So werden wir niemals erfolgreich sein. Schon gar nicht in diesen turbulenten Zeiten. Eine Schande für die Führungsmannschaft.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kollege den Online-Workshop bereits verlassen. Er würde ihm keine neuen Erkenntnisse bringen, hinterließ er im Chat. Hoffentlich verlässt er auch das Unternehmen. Es wäre wahrscheinlich ein Segen für alle Beteiligten.

Ihr Christoph Hauke