Partizipative Digitalisierung von HR-Prozessen
Digitalisierung ist in aller Munde und wird teilweise als das Allheilmittel für die Modernisierung von Human Resources betrachtet. Es gibt gute und es gibt weniger gute Beispiele, HR-IT-Anwendungen, die ihren Mehrwert leisten und solche, die wenig genutzt in der Ecke verstauben. Von diesen Erfahrungen können wir viel lernen können.
Schauen wir uns ein Beispiel aus der betrieblichen Praxis an:
Ein Softwarehaus führt flächendeckend ein Skill-Management-System ein. Ziel ist u.a. die Unterstützung der Projektmanager*innen beim Staffing, heißt die gezieltere Auswahl von Projektmitarbeiter*innen für neue Vorhaben. Das Unternehmen hat einfach mittlerweile eine Größe erreicht, bei der die Führungskräfte nicht mehr genügend Überblick über die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter*innen haben. Gesagt, getan: Geschäftsführung und Personalbereich entwickeln den Kriterienkatalog und das Pflichtenheft für das System, machen die Ausschreibung und Auswahl, und die technische Implementierung ist relativ schnell umgesetzt. Bei der „Roadshow“ durch das Unternehmen gibt es heiße Diskussionen zuerst mit den Führungskräften und später mit den Mitarbeiter*innen. Die Liste reicht von mangelnder Passung zu den Anforderungen im Unternehmen über Kritik an der Nutzungsfreundlichkeit bis hin zum Thema Datenschutz und Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Das System droht zum „Rohrkrepierer“ zu werden. Was ist passiert? Ein technisch gutes System und eine sinnvolle Idee findet einfach nicht die Akzeptanz, weil die betroffenen Mitarbeiter*innen und Führungskräfte nicht einbezogen waren und ihre Vorstellungen und Anforderungen nicht einbringen konnten.
Was hat das Unternehmen anschließend getan?
- Befragung der Führungskräfte nach ihren Anforderungen an das Skill-Management
- Befragung der Mitarbeiter*innen zu ihren Wünschen an die Personal- und Karriereentwicklung und den Auswahlprozess bei Projekten
- Basierend darauf: Entwicklung von Karrierepfaden
- Basierend hierauf: Verknüpfung des Skill-Managements mit Karrierepfaden und Senioritätsleveln, Trainingsmaßnahmen und Nachfolgeplanung
- Weiteres Customizing des Systems
- Roadshow 2
- Einführung eines konsequenten Employee Self Services: Jede*r Mitarbeiter*in ist für seine bzw. ihre Daten im System verantwortlich und macht die Updates mit den Projekterfahrungen und den eigenen Karrierewünschen selbst
- In der Konsequenz: Ausbau der Personalentwicklung
Was ist das Resümee? Es gab relevante Verbesserungsvorschläge von den Führungskräften und aus der Belegschaft. Human Resources, Geschäftsführung und auch der Betriebsrat haben viel gelernt. Aus einer 80:20-Lösung ist ein zum Unternehmen passendes und akzeptiertes System geworden, mit dem jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden können: Projekt-Staffing einerseits und Talent-Management andererseits. Und damit werden auch die Personalplanung und das Recruitment unterstützt: Wo müssen wir Mitarbeiter*innen von extern an Bord holen, wo haben wir eigene Ressourcen, und was heißt das für die künftige Planung?
Einige allgemeine Prinzipien für die Digitalisierung:
- Partizipation: Tue nichts ohne die betroffenen Mitarbeiter*innen. Sie sind die Experten*innen in eigener Sache, kennen ihre Arbeitsabläufe und wissen, wo es klemmt. Der Einbezug der Kollegen*innen führt nebenbei dazu, dass die erarbeitete Lösung akzeptiert wird, denn es ist IHRE Lösung. Und dies gilt für das HR-Team, die Führungskräfte, die Mitarbeiter*innen und natürlich den Betriebs- bzw. Personalrat.
- Prozessanalyse von A bis Z: … und zwar ohne etwas auszulassen. Welche Zielgruppe nutzt das System wie, wann, wofür, wie oft? Welche angrenzenden Themen könnten oder sollten integriert werden, um das System ganzheitlicher einzusetzen? Dabei immer vom User bzw. den Kunden*innen aus denken. Nutzungsfreundlichkeit und Automatisierungsmöglichkeiten prüfen: Wo kann das System sinnvoll mit KI unterstützen?
- Erweiterte Kosten-Nutzen-Rechnung: Konzeptvarianten vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit und Einsatzhäufigkeit prüfen: Was lohnt sich kurz-, mittel- und langfristig, wo gewinne ich Synergien, eine komfortable und wirklich intelligente Nutzung?
Autorin Dr. Andrea Beddies ist eine international erfahrene Führungskraft im HR-Bereich und hat das Unternehmen Andrea Beddies Enabling Change gegründet. Sie war in verschiedenen Führungspositionen mittelständischer Unternehmen und Konzerne tätig und hat mehrere Jahre in Asien gearbeitet. Die Arbeitspsychologin ist Expertin im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung, Change Management und Neue Digitale Formen der Arbeit und lebt in Niedersachsen. andrea-beddies.com