RECRUITING: ANSPRACHE UND AUSWAHL ZUSAMMENBRINGEN

Obwohl sich das Recruiting in den letzten Jahren stark professionalisiert hat, haben zwei Kernprozesse bisher nicht zusammengefunden: Employer Branding und Auswahlentscheidung. In beiden Prozessen stehen der Gewinnung von passenden Bewerberinnen und Bewerbern zwei fundamentale Fehler im Weg.

Der Fehler erster Art oder Alpha-Fehler liegt vor, wenn ungeeignete Bewerber angeworben, angesprochen und ausgewählt werden. Man nennt das auch „falsch positive Ergebnisse“. Das Positive daran: Man hat Bewerber. Aber eben die Falschen. Eine Ursache dafür sind fehlende Daten zum Bewerbermarkt sowie eine fehlende Personalmarktforschung. Ein Konsumgüterunternehmen käme beispielsweise nie auf die Idee, eine Produkt-Werbekampagne ohne ausreichende Daten zur Zielgruppe umzusetzen.

Irrtümlicherweise glauben Unternehmen oft, sie hätten gar keine Daten. Das stimmt aber nicht, denn diejenigen Bewerberinnen und Bewerber, die sich durch Kommunikation angesprochen fühlen, sind die ersten Datenlieferanten. Von ihnen kann man erfahren, auf welchem Weg man sie erreicht hat, welche Aspekte der Kommunikation das Interesse geweckt haben und welche Erwartungshaltung entstanden ist. Doch anstatt diese Fragen zu vertiefen, werden Bewerbende in Automatismen weiterbefördert, durchlaufen Auswahlprozeduren und werden schlimmstenfalls am Ende mangels Alternativen auch noch eingestellt.

Der Fehler zweiter Art oder Betafehler bezeichnet die Abschreckung bzw. Ablehnung geeigneter Potentiale oder Bewerber.

Das beginnt bei einem übertriebenen oder unpräzisen Anforderungsprofil und setzt sich durch den kompletten Prozess der sogenannten „Candidate Experience“ fort. Ein potenziell geeignetes Talent, das in einer Stellenanzeige, auf einem Event oder über einen Social Media Kanal einen falschen oder gar negativen Eindruck vom Unternehmen gewonnen hat, wird nur schwer davon zu überzeugen sein, sich doch zu bewerben. Noch schmerzhafter ist es aber, wenn wir selbst den Auswahlfehler machen. Zum Beispiel, wenn eine Bewerberin anhand eines nebensächlichen Kriteriums, durch eine Fehleinschätzung ihres Lebenslaufes oder einer anderen fehlgedeuteten Information durch die Vorauswahl fällt. Selten schaffen es Leute aus dem B oder C-Stapel wieder zurück in den regulären Prozess.

Am allerschlimmsten ist es, wenn wir die richtige Person vor uns haben und es nicht merken.

Aber was können wir tun, um diese Fehler zu erkennen und zu vermeiden?

Einen Anfang können wir machen, indem wir Anforderungsprofile präzise, kurz und priorisiert erstellen. So vermeiden wir Missverständnisse und Überforderung auf Bewerberseite und gewinnen unsererseits nochmals Klarheit darüber, welches die tatsächlich relevanten Entscheidungskriterien sind. Weiterhin sollten wir ein Employer Branding vermeiden, das mit Effekthascherei, oberflächlichen Werbebotschaften und irreführenden Lockangeboten die Gefahr erhöht, unpassende Bewerber anzulocken oder falsche Erwartungen zu generieren. Die Inhalte müssen korrekt sein, wenn die Wahrnehmung korrekt sein soll. Es macht auch keinen Sinn, Employer Branding oder Personalmarketingkampagnen als Schleppnetzfischerei zu betreiben, die auf Klickzahlen und Conversion Rates setzt und danach strebt, möglichst viel Response zu erzielen. Vielmehr müssen Zielgruppen und Schlüsselkompetenzen so qualifiziert werden, dass für die Steuerung der Personalmarketing-Aktivitäten die grundlegenden Eignungsdimensionen angesprochen werden.

Und hier kommt eine schlüssige Verbindung von Kommunikations- und Auswahlprozess zum Tragen.

Ein Ansatz: Wir gestalten den ersten Screeningprozess für alle eingehende Bewerbungen direkt auf der Basis von einem oder maximal zwei Kriterien, die eine Querschnittskompetenz darstellen, welche für die meisten Jobfamilien im Unternehmen eignungsrelevant sind. Das können beispielsweise schwer zu vermittelnde Digital Skills sein oder die Leistungsfähigkeit für cross-funktionale Informationsverarbeitung. Solche Screening-Ergebnisse stehen im anschließenden Auswahlprozess direkt zur Verfügung und liefern zudem aussagefähigere Kriterien für die Steuerung von Branding- und Marketingkampagnen. Diese Logik der fundierten Datenbeschaffung sollten wir dann in jedem weiteren Schritt der Candidate Experience implementieren. Durch eine offene und wertschätzender Kommunikation mit Bewerbenden erzielen wir nicht nur eine Bindewirkung, sondern bekommen weitere Datenpunkte und Informationen geliefert, die unser Bild erweitern. Die Summe der Fälle ermöglicht uns, die im Auswahlprozess gewonnenen Informationen über die Bewerberpopulation zurückzuspiegeln, um eine Justierung des operativen Employer Branding vorzunehmen.

Indem wir also zwei bislang meist isolierte Prozesse über konkrete Daten miteinander verbinden, sichern wir uns gegen Fehlentscheidungen ab, die uns nur Arbeit, Kosten und Ärger bescheren. Stattdessen gewinnen wir tiefere Einblicke in unsere BewerberInnen wie auch unseren Entscheidungsprozess und können sowohl Effizienz- als auch Effektivitätsgewinne verbuchen. Bessere Kommunikation, bessere Besetzungen. Ein Win-Win.

Autoren:

Der Diplom Psychologe Harald Ackerschott ist international anerkannter Experte in Personalauswahl, Eignungsdiagnostik und Assessment. Er leitet als Obmann den Arbeitsausschuss „Personalmanagement“ beim Deutschen Institut für Normung (DIN)

Thomas Teetz, hat über 15 Jahre Erfahrung im Employer Branding und Recruiting in Dax30 Unternehmen und bei Hidden Champions. Er ist Gründungs-Jury Mitglied im HR Excellence Award und Dozent für HR an mehreren Hochschulen.